04262024

Jude für 90 Minuten

Jörg Thadeusz: „Gesicht Zeigen“

Tagtraum in einem Makkabi-Fußballtrikot

 

Tadeus_Makkabi

Ein Araber hat mich daran gehindert, Jude zu werden. Ich kam nicht mehr mit dem Fuß an den Ball. Deswegen riss ich den Mann um. Freistoß für seine Mannschaft. Daraus folgte ein Tor. Und das Ende meiner jüdischen Ambitionen. „Wenn Du ein Tor schießt, dann darfst Du Jude werden. Mindestens ehrenhalber“, hatte mir der Teamchef Samuel versprochen. Nun war ich schuld an dem einzigen Treffer des Endspiels um die Konfessionen-Meisterschaft. Den Muslimen reichte das magere 1:0 für den Gesamtsieg. Christen und Atheisten waren schon vorher ausgeschieden.

Keine religiöse Sehnsucht

Ich war der älteste, der dickste und der evangelischste Spieler der jüdischen Mannschaft. Dennoch trug ich das Trikot mit dem Davidstern auf der Brust mit gehörigem Stolz. Mir kam es beinahe vor, als würde ich durch die schwüle Hitze auf diesem Berliner Bolzplatz gockeln.

Dieses unbedingt Jude sein wollen, war ich damit schon so peinlich wie Dörthe? Eine Mitschülerin, die ich auch nach Jahrzehnten nicht vergessen konnte. Damals träumte sie in einer Nacht, sie hätte zu den Frauen in der Umgebung von Jesus Christus gehört. In dieser Zeit, in der wir Pubertierenden nach irgendeiner Identität lechzten, hatte Dörthe gleich zwei Gründe, um sich ab sofort überheblich zu geben. Die Nähe zu Jesus und ihr Judentum. Sie lernte Hebräisch und ließ uns andere spüren, dass wir aus ihrer Sicht für die Anforderungen dieser Sprache viel zu einfältig waren.

Warum also dieses ballrunde Gefühl der Zufriedenheit, als ich nun zu dieser jüdischen Mannschaft gehörte? Um ihr den Sieg zu vermasseln?

Ich spüre keine religiöse Sehnsucht, die unerfüllt bliebe. Was mir die Schule und die Kirche an Gebeten beigebracht haben, reicht aus, um mit dem Herrn bei Gelegenheit in Kontakt zu treten.

„Es ist was mit Oma“-Stimmung

Es gibt auch kein Schuldgefühl, an dem ich mich abarbeiten müsste. Dazu bin ich 1968 zu spät auf die Welt gekommen. Die Täter wurden von unseren Eltern verantwortlich gemacht. Oder oft auch eben nicht.

Unserer Generation ist vor allem der Krampf geblieben. In der Schule kam immer diese „Es ist was mit Oma“-Stimmung auf, wenn jüdische Religion oder auch die Geschichte des Staates Israel Thema wurde. Die Lehrer drucksten mehr als sonst. Wenn sie das vermeiden wollten, schoben sie ein Fernsehgerät in den Unterrichtsraum und wir bekamen wieder den Horror der Schoa in Schwarz-Weiß-Bildern zu sehen. Ganz ehrlich: Kapiert habe ich das damals nicht. Die Dimension des Grauens konnte ich erst richtig beginnen nachzufühlen, als ich selbst geliebte Menschen verloren hatte. Der Unterricht baute aber immerhin eine gehörige Beklommenheit auf. Genau die richtige Gefühlslage für die Gedenktage, Gedächtnisreden und bestattungs-pathetischen Appelle, in denen ansonsten jüdisches Leben vorkam.

Muss ich mich schämen, wenn mir ein klassischer jüdischer Witz über einen Rabbi großväterlich oder angestaubt erscheint? Mittlerweile habe ich beschlossen: Nein, muss ich nicht. Speziell dann, wenn das Witzchen wieder einmal von einem ansonsten sehr langweiligen Sozialdemokraten zitiert wird. In der Hoffnung, es würde ihm einen polyglotten Schimmer verleihen.

Auch die Formel „Nie wieder Auschwitz“ ist nicht nur viel zu wuchtig, sondern auch bis zur Ermattung benutzt.

Vorsicht Zierpflanzen-Schreibtisch

‚Augen auf’ ist dagegen eine deutlich harmlosere Ermahnung in unserer Sprache. Augen auf bei der Berufswahl, damit man nicht auf dem Amt an einem Zierpflanzen-Schreibtisch endet. Augen auf bei der Partnerwahl, damit sich der Liebeskummer in besingbarem Rahmen hält. Augen auf bei den anderen Deutschen. Vor allen Dingen bei den ewig Zukurzgekommenen. Denen, die sich das große Kollektiv wünschen, das bitte alle auf einem Niveau hält. Mindestens die runterholt, die herausragen. Oder aus Sicht des unverbesserlichen Neidmenschen: überstehen.

Ich engagiere mich bei „Gesicht zeigen. Aktion weltoffenes Deutschland“. Eine Initiative, die nicht permanent nach dem Staat ruft, sondern insbesondere jungen Leuten vorrechnet, warum sich tolerante Weltoffenheit mehr auszahlt als das Modell der neuen Nazis, das einen schon mitten im Leben modern lässt.

Sollte ich einen meiner jüdischen Lieblingsprominenten treffen dürfen, möchte ich schließlich mit gutem Gewissen vermitteln können, dass wir die Lage hier im Griff haben. Also Sarah Silverman oder Billy Crystal ermuntern, alsbald wieder mal nach Deutschland zu kommen.

Das bisher beste jüdische Gefühl hatte ich allerdings in diesem Fußballtrikot. Nach Ende des Spiels kam der Araber zu mir und bedankte sich, dass ich ihn umgerissen hatte. Er hätte bei dieser schrecklichen Hitze keinen einzigen Schritt mehr machen wollen. Wir umarmten uns. Und ich hoffe, er hat mich als einen wirklich netten Juden in Erinnerung.

 

TV-Moderator, Journalist und Autor Jörg Thadeusz lebt in Berlin. Mehr über die Initiative „Gesicht zeigen“ auf www.gesichtzeigen.de

Photo Credit: Jörg Thadeusz

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