04262024

Fix It Again, Kraut!

TichyHandelsWettbewerb

Exportpolitik: Berlin beugt sich Washington und Paris

 

Die Deutschen sind ja, wie die Geschichte und die in ihr gefangenen Menschen leider mehrfach erfahren mussten, ein störrisches, unbelehrbares und zum Übereifer und einem Perfektionsdrang bis zur Selbstzerstörung neigendes Volk. Nüchternes Abwägen, pragmatisches Handeln, elastisches Zurückweichen, Aufgeben oder auch nur Beidrehen, solche Elemente gibt es auch. Aber sie sind so selten wie die Fähigkeit zur Selbstkritik. So jedenfalls werden die Deutschen gesehen.

Aber dies ist und bleibt – ein Vorurteil. Heute sind die Deutschen lernwillig bis zur Gefallsüchtigkeit; sie reagieren auf Kritik sofort und auch unter Hinnahme gewisser Nachteile. Nichts zeigt das besser als die Diskussion um die deutschen Exportüberschüsse. Nun sagen Sie nicht, Import und Export sei nicht das Feld großer Konflikte, wenn man an Deutsche denkt, eher sei es ein zivilisatorischer Fortschritt, dass sie die Welt nur noch mit BMWs und Audis überrollen.

Nachbar Frankreich in der Sinnkrise

Bekanntlich verkaufen die Deutschen mehr Waren als sie importieren: Autos, Maschinen, aber auch Käse, was insbesondere den Nachbarn Frankreich in eine Sinnkrise stürzt. Seit einiger Zeit ist diese Art der Wirtschaftspolitik ins Zentrum der Kritik geraten. Niemand geringerer als das US-Finanzministerium, nachgewiesenermaßen eine Art globales Amt der höheren ökonomischen Vernunft, kritisierte die Deutschen ungewöhnlich scharf. „Das schwache Wachstum der Inlandsnachfrage in Deutschland und die Abhängigkeit von Exporten haben das Wachstum innerhalb der Euro-Zone blockiert. Zur gleichen Zeit haben andere Euro-Länder die Inlandsnachfrage zurückfahren müssen, um die Anpassungen innerhalb der Währungsunion zu bewältigen“, heißt es da. Und der Nobelpreisträger Paul Krugman assistierte mit der „niederdrückenden“ Wirkung, die diese Deutschen auf die gesamte Weltwirtschaft ausübten, eine Folge der autistischen Sicht ohne „globalen Horizont“ ihrer Wirtschaftspolitik.

Nun ist es nicht einfach, auf derart massive Kritik zu reagieren. Man hört geradezu die ebenso besorgten wie beflissenen Diskussionen in den Büros des Kanzleramts, was jetzt zu tun sei. Zukünftig den Erwerb von Mercedes-Fahrzeugen global nur noch auf Bezugsschein genehmigen? Eine Selbstbeschränkung in Qualität, um Kunden abzuschrecken, auf italienisches Fiat–Niveau, also Fiak? „Fix it again, Kraut!“ Die Maschinen, die für den Aufbau der neuen Industriestaaten benötigt werden, statt in Brasilien in Bayern zu verkaufen, etwa die hochgeschätzten Tunnelbohranlagen aus Stuttgart, die sich durch den Untergrund der Städte fräsen, um U-Bahn-Röhren zu schaffen oder sich durch Berge fressen für zukünftige Auto-Tunnels? Jedem Deutschen seine private Tunnelbohrmaschine im Wert von 250 Millionen Dollar?

Aber dies wären doch nur Einzelmaßnahmen. Geblieben ist der deutsche Hang zur Perfektion. Zu Koalitionsbeginn hat die einflussreichste Frau der deutschen und europäischen Politik auf 185 Seiten ein komplettes und perfektes Programm zur Bekämpfung der deutschen Exportüberschüsse vorgelegt. Das Papier gilt als ein auf vier Jahre angelegter Ehevertrag mit der konkurrierenden Partei der Sozialdemokraten, mit denen Angela Merkel gemeinsam regiert, was wie ein Zusammenschluss von Tea-Party-Bewegung und Demokraten wirkt.

Kältetod einer Gesellschaft

Nun soll ein hoher Mindestlohn eingeführt und die nach europäischen Standards vergleichsweise vorsichtige Regulierung der Arbeitsmärkte auf das Niveau zurückgedreht werden, mit dem Deutschland zum kranken Mann Europas wurde – erst der sozialdemokratische Kanzler Gerhard Schröder hatte hier tiefgreifende Reformen durchgesetzt. Jetzt also zurück. Wirtschaftswissenschaftler erwarten einen Anstieg der Arbeitslosigkeit um über eine Million Menschen – der stampfenden deutschen Exportmaschine gehen dann die Arbeitskräfte aus. Schon seit zwei Jahren steigen die deutschen Löhne kräftig. Merkel will das Lohnwachstum beschleunigen, indem die Beiträge auf den Faktor Arbeit erhöht werden; letztlich eine gewaltige Steuererhöhung für Arbeit.

Teure Arbeit aber ist kein Wettbewerbsvorteil. Schon heute liegen in Deutschland die Energiepreise um bis zu 50 Prozent über den amerikanischen, was die famose deutsche Chemieindustrie dazu verlockt, neuerdings riesige Anlagen in den deindustrialisierten Wüsten der USA aufzubauen. Zukünftig sollen die Energiepreise noch schneller und noch höher steigen, wohl um den Verfall der deutschen Industrie zu beschleunigen.

Schon heute ist die deutsche Investitionsquote in der Industrie sensationell niedrig. Sie liegt bei nur 16 Prozent, während sie in Europa immerhin bei 20 und im internationalen Maßstab bei 24 Prozent liegt. Die staatlichen Renten werden um Milliardenbeträge erhöht; ein ziemlich selbstmörderisches Unterfangen in einer Gesellschaft, die (nach Japan) gleichzeitig die älteste der Welt ist und als Rekordhalter im Nicht-Gebären von Kindern dafür sorgt, dass dieser soziale Kälterekord sich zum Kältetod einer Gesellschaft auswachsen kann. Das Renteneintrittsalter soll auf 63 Jahre vorverlegt werden; zunächst nur für wenige, möglichst aber bald für alle Arbeitnehmer. 45 Arbeitsjahre werden als gesellschaftliche Norm ausgegeben; da die Lebenserwartung der robusten Deutschen sich auf über 90 Jahre bewegt, bedeutet das: Gearbeitet wird noch ein halbes Leben.

Gehorsam und gefügig bis zur Selbstaufgabe

Angela Merkel ist eine famose Politikerin. Es ist ihr gelungen, das umfassende Export- und Wirtschaftsblockade-Programm als soziale Meisterleistung zu verkaufen; tatsächlich sind die Sozialleistungen der hohe Preis dafür, um die Deutschen von ihrer Tüchtigkeit und ihrem Fleiß zu entwöhnen. Die Nachbarn haben dies sofort erkannt. Frankreichs François Hollande lobte umgehend, dass Deutschland nun den französischen Weg einschlage, der bekanntlich zu einem rapiden Verfall französischen Wohlstands geführt hat.

Nun rätseln Hollandes Experten, ob dies tatsächlich zur Wiederherstellung der französischen Wettbewerbsfähigkeit führen wird. Immerhin besteht die Gefahr, dass der zu erwartende Niedergang der deutschen Wirtschaft auch die damit eng verflochtene europäische nach unten zieht; immerhin sind ja ein Drittel der deutschen Exporte eingebaute und sorgfältig versteckte Importe aus Italien, Frankreich und anderen Ländern.

Vielleicht hat er die neuen deutschen Tugenden nicht ganz vollständig in ihrer Wirkung erfasst. Die Deutschen sind gehorsam und gefügig bis zur Selbstaufgabe geworden. Aber ihr selbstzerstörerischer Perfektionismus scheint noch unbegrenzt vorhanden.

Hollande indessen begibt sich auf altbewährte deutsche Wege. Im neuen Jahr verkündete er, die französischen Sozialleistungen straffen zu wollen – ähnlich wie einst Gerhard Schröder mit der Agenda 2010.

 

Roland Tichy ist Chefredakteur der Wirtschaftswoche und Kolumnist der Jewish Voice from Germany

Photo Credit: Wirtschaftswoche

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